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Durch die Brille des Nutzers I

Usability Engineering: Arbeiten mit Nutzungsanforderungen

Durch die Brille des Nutzers I

Um interaktive Systeme mit hoher Usability zu entwickeln, ist es notwendig, die Nutzungsanforderungen zu kennen und in geeignete technische Lösungen umzusetzen. Dabei ist es sehr einfach, an die richtigen Anforderungen zu gelangen: Man stellt Nutzern die richtigen Fragen und hört aufmerksam zu.

Der benutzerzentrierte Gestaltungsprozess

Usability ist definiert als »Ausmaß, in dem ein interaktives System durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um festgelegte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen« (ISO 9241-11). Hohe Usability lässt sich planen und erzielen, wenn in allen Phasen der Entwicklung des interaktiven Systems der Benutzer im Mittelpunkt steht. Man spricht dabei von einem benutzerzentrierten Gestaltungsprozess, der aus vier miteinander verbundenen Aktivitäten besteht (siehe Abbildung 1).

Benutzerzentrierter Gestaltungsprozess: Nutzungskontext verstehen und beschreiben, Nutzungsanforderungen spezifizieren, Gestaltungslösungen entwickeln, Produkt evaluieren
Abbildung 1: Benutzerzentrierter Gestaltungsprozess (© itemis AG, nach ISO 9241-210)

Die beiden ersten Aktivitäten nach der Planung lassen sich unter dem Stichwort »benutzerzentrierte Analyse« zusammenfassen; darauf basierend erfolgt die »benutzerzentrierte Gestaltung«; den Abschluss einer Iteration bildet die »benutzerzentrierte Evaluation«.

Warum überhaupt analysieren?

Eine Websites und Web-Anwendungen kann nur dann erfolgreich sein, wenn von Beginn an klar ist, welches Problem sie eigentlich lösen soll, und wenn jede einzelne Anforderung aus der Sicht des Nutzers begründet ist. Sonst kommt es zu fehlenden oder überflüssigen Funktionen, wodurch Nutzer vergrault (und die Kosten gesteigert) werden und das Projekt scheitert. Das wurde in der Vergangenheit durch zahlreiche Beispiele bestätigt, besonders drastisch beispielsweise bei der Ablösung AltaVistas durch Google.

AltaVista war bis ins Jahr 1999 neben HotBot die bekannteste Volltext-Suchmaschine der Welt. Ende der 1990er veränderte AltaVista seine strategische Ausrichtung und entwickelte sich von einer Suchmaschine zu einem Portal mit Nachrichten, E-Mail und Einkaufsangeboten (siehe Abbildung 2). AltaVista versuchte damit, mit Yahoo! zu konkurrieren, war damit aber nahezu erfolglos. Im Suchmaschinenmarkt wurde AltaVista währenddessen ziemlich schnell von Google überholt. Das lag vor allem daran, dass Google sich konsequent auf die primären Anforderungen der Nutzer ausgerichtet hatte: Das User Interface beschränkte sich auf Wesentliche, nämlich das Suchfeld und die Anzeige der Suchergebnisse. Bei den damals noch üblichen langsamen Internet-Verbindungen brachte das den Suchmaschinennutzern erhebliche Vorteile. AltaVista wurde nach mehreren Übernahmen von Yahoo! gekauft und verlor bis zu seiner Schließung im Juli dieses Jahres mehr und mehr an Bedeutung. Google hingegen gehört seit Jahren zu den wertvollsten Marken der Welt.

Das 1999er User Interface von AltaVista und Google im Vergleich
Abbildung 2: AltaVista und Google 1999 (Quelle: archive.org)

Anforderungen konsequent aus der Perspektive der Benutzer zu berücksichtigen, ist die zentrale Grundlage erfolgreicher Projekte und kann entscheidend sein für den Erfolg eines gesamten Unternehmens. Der Ansatz der benutzerzentrierten Analyse stellt sicher, dass diese sogenannten Nutzungsanforderungen systematisch ermittelt, dokumentiert, geprüft und verwaltet werden.

Den Nutzungskontext verstehen und beschreiben

Wer die oben genannte Definition von Usability verinnerlicht hat, wird aufhorchen, wenn er Aussagen hört wie »Die Usability dieser Anwendung ist schlecht« und sich fragen: Schlecht für wen? Schlecht unter welchen Rahmenbedingungen? Oder mit den Worten eines Usability Engineers: Schlecht für welchen Nutzungskontext?

Der Nutzungskontext eines interaktiven Systems wird beschrieben durch die Benutzer, deren Aufgaben und Arbeitsmittel (Hardware, Software und Materialien) sowie die Umgebung, in der sie mit dem interaktiven System arbeiten (ISO 9241-11), siehe Abbildung 3.

Elemente des Nutzungskontexts: Benutzer, Aufgaben, Arbeitsmittel, Umgebung
Abbildung 3: Elemente des Nutzungskontexts eines interaktiven Systems (© itemis AG)

Was bedeutet das genau, beispielsweise für eine Web-Anwendung zur Erstellung von Terminumfragen wie Doodle?

  • Benutzer sind Personen, die eine Umfrage erstellen oder daran teilnehmen wollen. Zumindest der ersten Gruppe lässt sich eine gewisse IT- bzw. Online-Affinität unterstellen.
  • Ziele und Arbeitsaufgaben: Eine Umfrage erstellen und andere dazu einladen; an einer Umfrage teilnehmen; Umfrageergebnisse einsehen.
  • Arbeitsmittel sind primär ein Webbrowser und ein Gerät, auf dem dieser läuft, beispielsweise ein Notebook oder ein Smartphone. Arbeitsmittel sind aber auch ein Kalender und ein Adressbuch.
  • Über die Umgebung lässt sich am wenigsten sagen. Termine werden überall vereinbart, daher ist ein mobiler Kontext, vielleicht unter widrigen Sicht- und akustischen Bedingungen, genauso wahrscheinlich wie eine Nutzung im Büro auf einem 24-Zoll-Display.

Klingt diese Nutzungskontextbeschreibung überzeugend? Sie wurde wohlüberlegt und gewissenhaft verfasst. Aus Sicht eines Usability Engineers ist sie dennoch wertlos – sie basiert vollständig auf Annahmen und ist ohne Benutzerbeteiligung entstanden.

Bei überschaubaren Websites und Web-Anwendungen mit bekannter Aufgabenstellung, reicht es aus, die Beschreibung des Nutzungskontexts mit echten Benutzern zu diskutieren und zu validieren. Beispielsweise bei der Website des örtlichen Zahnarztes oder eben einem Online-Terminfinder. Bei komplexen interaktiven Systemen hingegen oder solchen, die Arbeitsaufgaben einer unbekannten Fachdomäne abbilden, ist es unabdingbar, Interviews mit Benutzern zu führen und zu dokumentieren. Folgende Leitfragen können dabei zur Orientierung dienen:

  • Welche Aufgaben führen Sie mit dem System durch?
  • Wie häufig fallen die einzelnen Aufgaben an? Welche führen Sie häufig durch, welche eher selten?
  • Gibt es eine bestimmte Reihenfolge, in der Sie die Aufgaben abarbeiten?
  • Sind zur Lösung von Aufgaben Dialogschritte oder Eingaben notwendig, die Sie eigentlich nicht benötigen?
  • Wo kann etwas schief gehen? Wie bemerken Sie das?
  • Arbeiten Sie mit jemandem über das System zusammen? Wie läuft die Zusammenarbeit ab?
  • Macht Ihnen die Nutzung des Systems Spaß?
  • Welche besonderen Stärken hat die derzeitige Lösung?
  • Welche besonderen Schwächen hat die derzeitige Lösung?

Das Ziel ist es, zusammen mit den beteiligten Benutzern ein gemeinsames Verständnis des Kontexts und der Aufgaben zu entwickeln und darin deren Erfordernisse zu erkennen.

Nutzungsanforderungen spezifizieren

Erfordernisse beschreiben, welches Ziel ein Benutzer erreichen will und welche Voraussetzung dafür erfüllt sein muss. Sie sind aus der Sicht des Nutzers und vollkommen systemneutral formuliert, das heißt sie geben keine technischen Details vor.

Einige Erfordernisse sind offensichtlich und ergeben sich direkt aus der Aufgabe, beispielsweise das folgende Erfordernis für das Beispiel »Online-Terminfinder«:

»Ein Teilnehmer einer Terminumfrage (Benutzer) muss wissen, welche Termine angeboten werden (Voraussetzung), um bei der Teilnahme an der Umfrage (Nutzungskontext) eine Auswahl treffen zu können (Ziel).«

Andere Erfordernisse ergeben sich erst dann, wenn der Usability Engineer genau zuhört, wenn Nutzer erzählen, was sie tun oder worauf sie achten, wenn sie ihrer Arbeitsaufgabe nachgehen, und wenn er gezielt nachfragt. Beispiele dafür könnten sein:

»Ein Ersteller einer Terminumfrage muss einsehen können, welche Personen der Einladung zwar gefolgt sind, aber noch keine Angaben gemacht haben, um explizit nachfragen zu können, ob diese kein Interesse an der Veranstaltung generell oder nur an keinem Termin Zeit haben.«

»Ein Teilnehmer einer Terminumfrage muss wissen, welche Termine welche anderen Teilnehmer angegeben haben, um bei der Teilnahme an der Umfrage die Termine angeben zu können, die bevorzugte Personen ebenfalls gewählt haben.«

Alle erkannten Erfordernisse werden in einem Bericht gesammelt, der dem nächsten Schritt zugrunde liegt, der Spezifikation der Nutzungsanforderungen.

Nutzungsanforderungen beschreiben eine erforderliche Leistung oder Aktion eines Benutzers während er eine Aufgabe an einem interaktiven System durchführt. Aus dem ersten Erfordernis des oben genannten Beispiels lassen sich zwei Nutzungsanforderungen ableiten:

»Der Nutzer muss am System erkennen können, welche Termine angeboten werden.«

»Der Nutzer muss am System die Termine auswählen können, an denen er teilnehmen will.«

Die folgenden (zusätzlichen) Nutzungsanforderungen ergeben sich aus den beiden nächsten Erfordernissen:

»Der Nutzer muss am System erkennen können, welche Personen der Einladung bereits gefolgt sind.«

»Der Nutzer muss am System die bisherigen Umfrageergebnisse detailliert einsehen können, also welcher Teilnehmer welche Termine angegeben hat.«

»Der Nutzer muss am System die bisherigen Umfrageergebnisse einsehen können, bevor er selbst an der Umfrage teilnimmt.«

Je nach Größe und Komplexität des interaktiven Systems umfasst eine Nutzungsanforderungsspezifikation eine Handvoll bis viele Hundert Nutzungsanforderungen. Aus Nutzersicht ist das System damit vollständig beschrieben. Die Phase der benutzerzentrierten Analyse ist abgeschlossen.

Was man nun damit anfängt, verrät morgen der zweite Teil dieses Artikels, der zeigt, wie ihr benutzerzentrierte Analysen in der Praxis anwenden könnt.

Literatur und Quellen

Kommentare

Moki
am 14.12.2013 - 17:17

Naja, das sind ein par Basisifnormationen, wirklich in die Tiefe ggagngen ist der Autor nicht, oder?

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Michael Jendryschik

Michael Jendryschik (Autor)
am 16.12.2013 - 10:15

An welchen Stellen hättest du dir mehr Tiefe gewünscht? Hast du konkrete Fragen? Ich gehe gern ins Detail oder kann dir auch weiterführende Literatur empfehlen, falls du dich tiefer in die Nutzungskontextanalyse einlesen möchtest.

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Die Kommentare sind geschlossen.